Marc erzählt:
Ein Anruf genügt…
Aufgrund des positiven Ergebnisses meines letzten Coiffeurbesuchs hier in Shanghai, steuere ich erneut zielsicher auf den hair-saloon von „Jimmy dem Cowboy“ am People’s Square zu. Leider finde ich bloss eine Baustelle vor und der Friseurmeister erklärt mir, dass der Salon bis Mitte April geschlossen bleibt und danach an einem neuen Ort wiedereröffnet wird.
Ich kann aber auf keinen Fall so lange warten, ich sehe jetzt schon bald aus wie Reinhold Messner. Typisch Shanghai, denke ich. Jede Woche eine neue Situation und auf nichts kann man sich verlassen, alles ändert hier im Wochentakt. Never mind, ich versuche einfach mein Glück bei Barbie, die wird mir schon weiterhelfen könnenJ. Ich rufe die Grande-Dâme des leichten Lebens auf ihrem Handy an und erläutere ihr meine verzwickte Situation. Das sei gar kein Problem, sie rufe mich in 15 Minuten zurück, ich soll bleiben wo ich bin. Eine Viertelstunde später also gibt Barbie mir die Anweisung mich so schnell wie nur möglich ins „ISETAN“ Shopping Mall zu begeben um dort den „EXY hair-saloon“ aufzusuchen. Mr. Cai (der Boss, of course) hat zwar keinen Termin mehr frei heute, aber für Barbie’s Freunde macht er gerne mal eine Ausnahme und schneidet mir die Haare zwischen zwei Terminen. Die Situation ist mir zwar unangenehm, aber jede Widerrede zwecklos. Kurz darauf werde ich bei „EXY“ erwartet und man begrüsst mich mit Namen. Mr. Cai nimmt telefonisch die Anweisungen von Barbie entgegen, welche ich ihr zuvor mitgeteilt habe und schneidet mir die Haare dementsprechend. Eine Assistentin kümmert sich natürlich auch noch um die bekannte Kopfmassage und wäscht mir die Haare ungefähr zweihundertfünfzig Mal. Frisch gestylt und überglücklich verlasse ich den Friseursalon. So einfach kann das Leben sein.
Szenen des Alltags
Weniger glamourös, dafür umso spannender, geht es jeweils in unserer niedlichen Quartierstrasse, der „Min Xing Lu“ zu und her. Die Szenen, welche sich hier tagsüber wie auch abends bieten, sind einfach unvergleichlich.
Nebst dem „Zerstörer“ (wir nehmen sie übrigens mit nach Hause!) und den anderen skurrilen Figuren unseres Hotels, bietet sich der kleine Laden gleich um die Ecke ebenfalls als Paradebeispiel an. Das winzige Lokal erreicht man durch eine Öffnung, an welcher keine Tür, sondern eine schmutzige, blaue Bettdecke angebracht ist. Das Sortiment des Shops ist nicht gerade herausragend und so wird das Lokal auch oft bloss als Durchgang benutzt um auf die andere Seite des Innenhofes zu gelangen, in dem sich eine Schule befindet. Das Besitzerehepaar, zwei steinalte Gestalten, welche beide noch sämtliche chinesische Dynastien miterlebt haben dürften, scheint dies wenig zu kümmern. Der ältere Herr ist stets mit irgendwelchen Reparaturarbeiten beschäftigt und verfügt über die Reaktionszeit eines schlafenden Koalabärs. Die Besitzerin sitzt aufmerksam vor einem TV-Gerät Marke Kommunismus, welcher mitten im Shop auf einem Holzstuhl platziert wurde und aus dem in voller Lautstärke das Geheul irgendeiner chinesischen Seifenoper ertönt. Die gute Frau ist meist so auf den Fernseher fixiert, dass man schon mal gut fünf Minuten an der Theke stehen kann, bis sie sich um die Kundschaft kümmert. Ganz zu schweigen vom Koalabär, der seinerseits sowieso mehr als fünf Minuten bis zur Theke gebrauchen würde. Nebst dem Ehepaar leben auch noch ungefähr fünfzig Katzen im Laden, was nicht unbedingt zur Attraktivität des Shops beiträgt (vor allem wenn man Katzen nicht ausstehen kann, wie ich, diese Mistviecher – hä-häm, Entschuldigung!). Wie lange wäre wohl ein Laden dieser Art in der Schweiz geöffnet? Wahrscheinlich keinen einzigen Tag. Dafür lieben wir Shanghai, die Gegensätze könnten krasser nicht sein.
Kann mich mal eben jemand in den Arm kneifen, BITTE?
Ok, Barbie hat uns nun doch schon einige male beinahe aus der Bahn geworfen mit ihren extravaganten und an Dekadenz unübertreffbaren Aktionen. Moment, „unübertreffbar“? Yeah right! Weit gefehlt…
Freitagabend war ich tatsächlich ein wenig enttäuscht von unserer Diva. Vor einer Woche hatte sie mir nämlich versprochen, mich zu einer Veranstaltung von „Vogue Men“ mitzunehmen – „dresscode formal“. Ich hatte meinen Anzug bereits aus der Kleiderhülle gepackt und bereitgelegt, als Barbie sich kurzfristig entschlossen hatte doch nicht hinzugehen. Sie habe keine Lust auf einige Freunde, welche dort ebenfalls aufkreuzen würden. Na gut, ein Abend zu Hause kann für einmal auch nicht schadenJ.
Die Wiedergutmachung folgte dann am Samstag. Um 8 Uhr verabreden wir uns mit ihr zum dinner in einem Restaurant namens „South Beauty“. Eine ein wenig in die Jahre gekommene Filmschönheit aus Hong Kong hat sich der, vor allem durch ihre scharfen Gerichte bekannte, Küche aus der Sichuan Provinz Südwestchinas verschrieben. Die Schauspielerin und Besitzerin der Kette legt ausserdem auch viel wert auf Innendekoration und striktes „Feng Shui“ nach alter chinesischer Tradition. Das scheint offenbar Geld zu kosten, denn die Preise auf dem „Menu“ befinden sich eher im obersten Segment. Uns muss das wie immer wenig kümmern.
Barbie hat heute noch eine alte Bekannte mit im Schlepptau. Tina, so ihr Name, haben wir bereits vor einigen Wochen kennen gelernt. Eine eher zurückhaltende, dafür umso elegantere Persönlichkeit, welche als Redakteurin für die chinesische „Mode Weekly“ tätig ist. Beim verlassen des Restaurants zieht Barbie einmal mehr sämtliche Blicke auf sich. Mit erhobenem Haupt und bestimmten Schritten steuert sie in ihrer „flamboyeusen“ Abendkreation von Dior auf den Ausgang zu, wo bereits der Taxichauffeur wartet (den sie übrigens dafür bezahlt hat, die ganze Zeit draussen zu warten – es regnet, man will kein Taxi suchen!). Die Fahrt führt uns direkt vor den Eingang der BarRouge. Heute steht das Haus unter dem stupiden Motto „F*** me, I’m famous“. Na gut, das Partylabel ist weltberühmt und David Guetta steht am DJ-Pult, man kann über diesen Namen hinwegsehen. Der Star-DJ aus Paris lockt dann auch die Massen in die eher kleinliche BarRouge und so hatten mehr als 2000 Partywillige für diese Nacht versucht einen Tisch im Club zu reservieren (ein Tisch, der Heute Nacht übrigens doppelt so teuer ist als üblich – kurz und gut knapp 1500 Franken, ohne Getränke). Barbie hat keinen Tisch reserviert, nein, wir beziehen den VIP-Pavillon auf der Terrasse. Ein mit roten Samtsofas und schwarzen Marmortischchen dekorierter Pavillon mit Blick auf die grosse Terrasse und die Skyline von Pudong. Ok, it doesn’t get any cooler than this! Schon jetzt bin ich mir nicht mehr ganz sicher ob das hier vielleicht doch nur ein kleines Träumchen ist!? Flaschen werden aufgefahren, aus den Boxen im Pavillon erklingt die gleiche Musik wie im Club drinnen. Die BarRouge füllt sich, selbst die Terrasse, noch feucht vom anfänglichen Nieselregen, ist vollbesetzt mit hunderten von Menschen. Barbies Freunde kommen an, die meisten kennen wir bereits. Wir treffen drei junge Engländer, welche von Barbie spontan die Erlaubnis erhalten, sich ebenfalls in den Pavillon zu gesellen. Es wird getrunken. David Guetta legt nun auf. Der Club platzt aus allen Nähten. Barbie organisiert einen Bodyguard, welcher die Gäste des privaten Pavillons auf die Toiletten und zurück eskortiert. Auf dem Weg zurück von den Toiletten sehe ich ein mir bekanntes Gesicht auf dem Sofa sitzen. Moment…das ist doch, ja, das ist JAMES BLUNT! Ich sage kurz „Hi, James“ – der Bodyguard macht ein Photo von uns mit meinem iPhone und weiter geht’s wieder nach draussen. Jetzt fehlt nur noch Paris Hilton, denke ich mir beim zurückwaten, aber wir wollen ja mal nicht übertreiben. Die Party geht weiter, unsere Freunde aus London haben ihrerseits auch wieder Freunde mit in den Pavillon geschleppt. Man wohnt in San Francisco, in Paris, in Sydney, in Tokyo, in Fislisbach und Oberentfelden. Wir tanzen bis 6 Uhr morgens.
Zurück im Hotel betrachte ich die Schnappschüsse der Nacht, während draussen in der „Min Xing Lu“ die Strassenküchen Frühstück zubereiten. Oh my…
Weitere Highlights der Woche:
„Sihatsu“-Massage gefolgt von drei Tagen Muskelkater – warum müssen diese Masseusen bloss immer so auf einem herumstampfen!? / Besuch der „50 Moganshan Road Art Street“, ein Komplex bestehend aus einigen heruntergekommenen Fabrikbauten, in welchen sich die Kunstszene Shanghais eingenistet hat. Hier erhält man einen anderen Blickwinkel der Stadt und wir sind erstaunt, was für eine Plattform die Kunstszene hier in Shanghai erhält.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen