Manu erzählt:
Marc und die ver****** Schl****
Wir streiften durch die Nanjing Lu (Hauptschlagader für Tourismus, Neon-Reklame, Prostitution, Haschisch, gefälschten Prada-Taschen undsoweiter), getrieben vom Hunger, pirschend wie Neandertaler auf der Suche nach einem verletzten Gnu. Bisher erwies sich unsere Restaurantwahl, dem Lonely Planet sei Dank, als äusserst erfolgreich. Ob chinesisch, thailändisch, indisch, türkisch, japanisch gegessen haben wir bis jetzt wie die Kaiser in Rom. Diesmal sollte es nicht so sein. Wir begingen einen entscheidenden Fehler: Geniesse dein Abendessen nie, und mit nie meine ich nienienie, am bekanntesten Touristenort einer Stadt. Doch der Hunger schwächte unser Frontallappen, und somit unser rationales Denken entscheidend, was uns dazu brachte, in einen Lift zu steigen um 2 Stöcke höher in einem Touristenrestaurant zu landen. Dort angekommen stiegen wir, zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich unwissend, in Phase 3 des 4-Phasen-Prostitutions-Programms, was wie folgt von statten geht: Phase 1: Ein nichts ahnender, dümmlicher, nach Aufmerksamkeit sich sehnender Expat oder Tourist schlendert durch die Strasse. Plötzlich bemerkt der Gute die Aufmerksamkeit von einer oder von zwei jungen Chinesinnen, die mit unschuldigen, ihn anhimmelnden Engelsmienen versuchen, flüchtige, aber vielsagende Blicke auszutauschen. Phase 2: Das Gespräch wird gesucht, Komplimente werden gemacht (dabei sieht der Gute aus wie Axel Schultz nach einem Kampf), Telefonnummern werden ausgetauscht. Der Touri badet sich nun in einer Wanne voller Bewunderung und Anerkennung und leise säuselt es: „you must be a powerful man“ oder „You are so tall“ Wahrscheinlich könnten die Damen Sätze wie „Eine androide Killerbrigade wird deine Eingeweide dünsten“ oder „Im Chäsegge gets höt vom Emmetaler 3 Kilo för 2“ von sich geben, und der Herr würde sich höflich bedanken und verlegen lächeln. Phase 3: Die Dame(n) begeben sich mit dem Herrn in ein Lokal, um dort dem Alkohol zu frönen. Phase 4 könnt ihr euch denken. (Für diejenigen, die denken, dass ich mit Phase 4 eine Runde Eile-mit-Weile oder ein tiefgründiges Gespräch meine, bitte ruft mich an, wir reden darüber).
Marc und ich werden nun also Zeugen von Phase 3. An fast jedem Tisch sitzt nun ein Kein-Chinese mit einer Sehrwohl-Chinesin. Das Restaurant scheint wirklich nur ein Phase 3- Lokal zu sein. Wir bestellen. Das Essen natürlich. Hinter uns sitzt, nennen wir ihn mal Jürgen das Glubschauge, mit zwei Chinesinnen, an denen sich, sagen wir es diplomatisch, kein Auge weidet. Wir vernehmen, dass Jürgen mit deutschem Akzent vom Fake Market erzählt. Wir, Suchende nach diesem verbotenen Ort, entscheiden uns, Glubschi danach zu fragen. Ich: „I’m sorry to interrupt you guys, but I heard you talking about the Fakemarket..etc.“ Nachdem Glubschi weiss, dass wir aus der Schweiz sind, erläutert er uns auf deutsch, wo sich dieser Markt befindet. Die zwei Augenweiden drehen sich um, und fangen an zu glotzen und zu flüstern. Drehen sich immer wieder um, und es scheint so, als würden sie lieber von Glubschi’s an unseren Tisch wechseln. Verständlich, denn wir haben ja auch keinen Boxkampf hinter uns. Gerade als Glubschi uns erklärt, an welcher Metrostation wir halten sollen, wagt die eine Birke, äh Weide es doch tatsächlich etwas dazwischen zu plärren. Mit dem Wortwitz und dem Charme eines ausrangierten Bahngleises plärrt sie sehr eloquent: „Don’t talk to him, talk to me“. Marc und ich beherrschen mittlerweile die prätentiöse Ignoranz, und zwar bis zur Vollendung. Dies dank den netten Herren, die ganz ungezwungen und unaufdringlich ihre qualitativ hochstehenden Produkte an der Nanjing Lu anbieten (Gucci bags, watches, sun glasses etc..dazu aber später). Also wird die blöde Birke ignoriert, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Kellnerin, die man wegen ihrer sehr sympathischen und gewinnenden Art am liebsten angreifen würde, lächelt schadenfroh wie Gundel Gaukeley und bringt uns eine Rechnung, die unserer Meinung zu hoch ist (Gundel weist dann auf den winzigen Abschnitt auf der Karte hin, auf dem ganz klein geschrieben steht: „Kitchen takes yuen and service charge 10%). Glubschi verabschiedet sich, an dem einen Arm die Birke, an dem anderen die Trauerweide, mit einem Lächeln, als hätte er gerade den Jackpot geknackt. (Viel Spass in Phase 4). Die Kellnerin erklärt uns entnervt und immer noch schadenfroh lächelnd die Rechnung und fügt ein arrogantes „you can have a calculator, if you want“ hinzu.
Nun zu Marc: Marc, mein geschätzter Reisegefährte, kann man als ausgeglichenen, bodenständigen, witzigen und angenehmen Gesellen bezeichnen, der keinem schleichenden Rentner auf dem Gehsteig jegliches Leid zufügen könnte. Doch heute Abend, in unbekannter Manier, nimmt eine cholerische, mir bisher unbekannte Macht Besitz über ihn und lässt ihn beim Verlassen des Lokals ein „du ver****** Schl****!“ aussprechen. Ha! Der hast du’s gegeben! Die macht heute kein Auge mehr zu! Grosses Erleichtern macht sich bei mir breit, denn ich fühle mich nicht mehr so allein, wenn sich wieder mal ein Anzeichen von Cholerik bei mir breit macht, z.B. erkennbar in folgenden Situationen (um nur ein paar zu nennen): im Auto (Alle 60-in-80er-Zonen-Fahrer, 60-in-30er-Zonen-Fahrer, Lern- und Lastwagenfahrer scheinen einen Geheimbund geschlossen zu haben, mit dem Ziel, meine eigene, honigsüsse Traumwelt, in der z.B. Vokuhila-Frisuren verboten sind und James Blunt seine Stimme verloren hat, zur Hölle zu machen), beim Geruch von Oliven und Zimt, beim Weihnachtseinkauf, wenn elektronische Geräte nicht funktionieren (das tun sie fast nie), oder am Buffet. Nehmt euch am Buffet einmal 5 Minuten Zeit, um die gierige Schar, die in diesem Moment jegliches, über tausende von Jahren evolutionär erlerntes soziales und moralisches Verhalten über den Haufen wirft, zu beobachten. Wie Geier um das Aas fürchtet jeder, das letzte Schnitzel oder die letzten Krokettli an seinen nächsten Buffetkontrahenten zu verlieren (Ich weiss, das Leben ist ein Wettbewerb und ein einziger Wettlauf, aber Leute, die füllen wieder auf!). Zurück zum Thema. Wir verabschieden uns also mehr oder weniger höflich und verlassen Phase 3, ohne in Phase 4 zu geleiten. Dafür gibt’s noch Ice cream bei Hägendazs. Viel besser als Phase 4 mit Trauerweide.
Hexe gefällig?
Wie versprochen, zurück zu den grinsenden, unaufdringlichen Herren, die die Stadt mit ihren gefälschten Produkten überfluten. Diese Typen scheinen alle am selben „Wie-verkaufe-ich-meinen-Ramsch-an-Touristen-Fern-Seminar“ teilgenommen zu haben. Das geht dann so: „Hello Sir wanna watch, dvds, bags, shoes, sunglasses? Cheap Cheap, looki looki“ (es war halt nur ein Fernseminar). Wieder einmal kämpfen wir uns durch die Schar von Anbietern, als sich plötzlich ein kleiner, untersetzter Mann entschliesst, ein Stück mit mir zu gehen und auf mich einzureden. Zuerst das Übliche: „Hello Sir wanna watch, dvds, etc.” Als ich dann mit meiner mittlerweile schon beeindruckend schnell erlernten, prätentiösen Ignoranz keine Anzeichen von Interesse signalisiere, sagt der Zwerg plötzlich: „You wanna witch? Sir? You wanna witch?“: Überprüfung: watch check, DVD check, sunglasses check, witch che... haaaaaaaalt!..eine Hexe fehlt!! Konsumorientiert und oberflächlich wie ich bin, gefriert mir fast das Blut in den Adern, in panischer Angst, dieses scheinbar neue must-have (noch) nicht zu meinen Habseligkeiten zählen zu können und in den besseren Kreisen (ich verkehre selbstverständlich nur in diesen) nicht mehr als „flamboyant“ zu gelten. Doch ein bisschen perplex über diese paradoxe Frage, stelle ich mir vor, wie ich dem Vertrauen erweckenden Herrn auf einen Hinterhof folge, dort in eine kleine, spartanische Blechhütte geführt werde, wo ein schrumplige, schauernd glucksende Hexe mit Hautüberwucherungen in einer Ecke kauert. Nach harten, aber fairen Verhandlungen kaufe ich die Hexe für 1000 Yuen und bekomme noch ein Knoblauchumhang, 3 geschliffene Silberpfeile, ein Duftkerzenset und einen Nimbus 3000 gratis dazu. Ich verlasse, mit tiefer Genugtuung, die Blechhütte mit einer nigelnagelneuen Hexe, inklusiv Zubehör. Jedoch muss ich davon ausgehen, dass sie gefälscht ist. Doch wen interessiert das schon? Ich würde sogar behaupten, die falsche ist fast nicht von den echten zu unterscheiden. Hoffentlich hat der nette Herr mir eine Bedienungsanleitung in englischer Sprache mitgegeben. Falls nicht, muss ich halt die Trauerweide oder evtl. Priska um Übersetzungshilfe anfragen.
Der nette Unbekannte
Sehr geehrter Herr Unbekannt. Ich beziehe mich auf Ihren Besuch letzten Sonntag im Costa Café am People Square. Sehr zu meinem Bedauern war es mir nicht möglich, Ihre Bekanntschaft zu machen, während Sie sich meisterhaft meines Hab und Gutes bemächtigten. Thomas Crown wäre nur ein Schatten seines Selbst gewesen und könnte sich ein Stück von Ihnen abschneiden. Ich hoffe Sie finden Verwendung für meine Identitätskarte, Metrokarte, Hotelkarte, Bankkarte, Companys-Bonus-Karte, meine Privatfotos, Visitenkarten und mein Geld. Nehmt von den gut Betuchten (und Konsumorientierten) und gebt es den unehrlichen, nichtsnutzigen Aasgeiern und Despoten dieser Stadt. Ich hoffe Sie schmoren in der Hölle. Du ver****** Schl**** (das habe ich von Marc). Wenn ich dich erwische, würg ich dich mit meinem Ipod-Kabel (auch das ist von Marc).
Dieser Brief gehört zu meiner Therapie und soll helfen meinen Verlust zu verkraften. Mein Therapeut meint, der Anfang wäre nicht schlecht, der Schluss müsse noch einmal überarbeitet werden. Ich habe einen Aschenbecher nach ihm geworfen.
Highlights der Woche
Besuch im idyllischen Century Park, eingebettet mitten in der Stadt. Ein friedliches Plätzchen mit einem Restaurant, das wir ebenfalls aufsuchten. Dort angekommen, erwartet uns eine Armada von Kellnerinnen (wir sind die einzigen Gäste). Diese bringen uns an einen Platz und bringen uns die Karte. Leider war alles auf der Karte „duibuqi, mei you la –sorry, haben wir nicht mehr“, also gingen wir wieder. Vielleicht sollten sie ihr Konzept nochmals überdenken.
Besuch in den Yuyuan Gardens (Wunderschöne Garten- und Felsformationen, umzäunt von altertümlichen Mauern und chinesischen Häusern) - Temple of the town gods – Indischer Gaumenschmaus im Hazara – „Zerstörer“ auf dem Fahrrad, winkend wie ein frischgekröntes Prinzesschen – People 6, genauso mysteriös und sensationell wie People 7 – Thailändisches Essin im Lan na thai – Durchfeiern bis zum Morgengrauen im Club Richys mit dänischen Austauschstudenten – Karaoke bis zum Morgengrauen im KTV mit dänischen Austauschstudenten
Yuyuan Gardens
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