Alcatraz
Doppel-Odlo-beschichtet, schläfrig und mit schlurfenden Schritten begann der Montagmorgen um 6 Uhr 20. „Haubi Songs“ von Züri West begleitete mich musikalisch im Schaddabas zu unserem ersten Schulbesuch an der Uni. Jedoch hatte ich nicht mal ne „Haubi Ahnig“, was uns da erwartet. Economics und danach International trade business, exgüüsemua hä! Die Fortsetzung von intertemporalen Optimierungen durch Kapitalakkumulation und Konsumverzicht? Die Schulzimmereingänge sind mit Gitterstäben versehen. Ich sah mich nach Studenten um, die eine Kette mit einer Kugel am Fuss tragen, fand aber keine. Der Saal füllte sich. Die Spannung stieg. Die Temperatur sank (sunk sinkte sankte senkte versenkte?) auf schätzungsweise 2 Grad. Ich spürte meine Beine nicht mehr, sah meinen Atem. „ich kann tote Menschen sehen“. Der Dozent Mr. Huang eröffnete die Vorlesung. „Mmmm Pause mmm … Wuaat does Economics mean?“ stammelte er in gebrochenen Englisch. „try to siiiiink“ sagte er, als sich niemand meldete. Natürlich wollte er sich nicht schon nach ein paar Minuten vor den zwei Schweizern blamieren, also rufte er in bestimmtem Ton einfach einen Namen auf. „fenzhongschüenhongzhang“. Das zierliche Mädchen stand ruckzuck auf (das ist so üblich an der Uni, um dann die Antwort zu geben) und flüsterte mit gesenktem Kopf und in noch schlechterem Englisch „ I siiiink …bschschsch) Marc hatte mittlerweile seine eigene Lektüre aufgeschlagen und nutzte die Zeit anderweitig (clever). Ich war also auf mich alleine gestellt. Mentale Wärme musste erzeugt werden. Sonne, Strand, Rum..rumba, ich tanzte ums Feuer. Bleibt nur zu hoffen, dass die restlichen Fächer interessanter werden und der Frühling nicht lange auf sich warten lässt.
Dragonfly
Allerhöchste Zeit, das Qi wieder auszubalancieren. Um unsere Meridiane wieder in die richtigen Bahnen zu lenken, entschieden wir uns für das Dragonfly Massage Center. Am Eingang werden wir freundlich empfangen, Tee wird serviert. Wir wählen eine einstündige „Kung-Fu“-Massage (20 CHF). Meine Masseuse hat Pranken wie ein Tischgrill und knetet, als gehe es um Leben oder Tod. Locker flockig aus dem Salon zum Nachmittagstee und zu Snacks in die wunderschöne Lobby des West-inns. Die virtuosen Klänge des Pianos lassen die Torturstunden in der Schule in den Hintergrund rücken. Das Süsse ist nicht so süss ohne das Saure Baby.
Priska – nominiert für die Mitarbeiterin des Monats
Allgemein durften wir die Erfahrung machen, dass die meisten Chinesen sehr hilfsbereite, freundliche, liebenswerte und lustige Zeitgenossen sind. Priska, die Bedienung im nahegelegenen, viel zu dunklen und heruntergekommenen Internetcafe, schwimmt da gegen den Strom. Diese Frau hat einen toten Winkel im Gesicht. Ohne mit der Wimper zu zucken nimmt sie jeweils die Yuen entgegen und schmeisst uns dann mit gekonnter Gleichgültigkeit und der Ausstrahlung einer Bratpfanne eine Karte entgegen. Ihr glaubt, es sei schwierig, rückwärts mit Gewichten an den Beinen den Mount Everest zu besteigen? Dann versucht mal dieser Frau ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Vielleicht schaffe ich es mit einer chinesischen Bestellung eines Bigmac-Menü medium mit Pommes Frites und einer Coke (eine Cola in chinesisch gesprochen: Ikö kökö kölö). Wir tun unser Bestes!
Class 2008
Unser Stundenplan wurde mit den Fächern „Chinese language“ und „Chinese culture“ ergänzt, jeweils einen Nachmittag. Hier spielen sich filmreife Szenen ab. Im Chinesisch-Unterricht müssen Marc und ich für uns alleine lernen, da die anderen schon mindestens ein halbes Jahr chinesisch lernen. Unsere Lehrerin ist eine verwirrte, chaotische, zerstreute, aber lustige und liebenswerte Dozentin. Plötzlich erscheint sie wieder an unserem Pult, blättert wie wild in unseren Büchern, verliert hie und da ein „aaaaah“ oder ein „mmm“, wechselt dann plötzlich wieder das Thema, oder läuft mitten im Satz davon und schmeisst dabei ungeschickt und ungewollt irgendetwas vom Tisch oder stolpert über den Treppenabsatz. Unsere Chinesisch-Klasse besteht aus Fatima (Mama africana, aus Sierra Leone, hat das Temperament eines Stiers), Fahmi und sein Bruder (Halb Tansania, halb Oman, studieren insgesamt 3 Jahre in China), Joseph (Tansania, schon länger hier, spricht ziemlich gut chinesisch) und 5 Leuten aus der Mongolei (eine davon heisst Erika). Erika singt für ihr Leben gern und zögert auch nicht, plötzlich mitten in der Stunde damit anzufangen oder zu telefonieren. Hier prallen Kulturen aufeinander. Wunderbar. In ein paar Tagen findet an der Schule ein Fussballspiel World allstars gegen China statt. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen und werde die Schweiz in diesem bedeutenden Spiel möglichst gut vertreten.
Sonstige Highlights der Woche
Besuch in der CJW-Bar, im 50. Stock mit Aussicht über Shanghai, sensationelle Live-Jazz-Band. Herumstöbern in einer Einkaufsstrasse mit hunderten kleinen Läden. Besuch im Museum Shanghai urban planning, mit dem grössten Modell Asiens. Essen in Xiantiandi (charmantes Viertel mit Bars und Restaurants) mit anschliessendem Barbesuch im TMSK, eine wunderschöne Bar mit Wasserbecken, in dem Glasrosen schwimmen. Riesenportion in einem billigen chinesischen Restaurant (mit Handzeichen verständigt) für umgerechnet 5.- pro Person inkl. Ikökökökölö. Morgenessen im Paul, französisches Café mit wunderbarem Brot. Der Frühling hat begonnen, spüre meine Beine wieder in der Schule.

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