Montag, 31. März 2008

Manu erzählt:

Aphrodite und die High Society

Der graue Alltag ist eingekehrt. Die Monotonie hängt erdrückend schwer über unseren phlegmatischen Gemütern und die Tage bis zur Rückkehr in den aufregenden Aargau werden gezählt. Yeeeah right, so wahrscheinlich wie unserem „Wachhund“ die Ehrenmedaille für heroische, wagemutige Rettungsaktionen verliehen wird! Let’s get the party started - again! Nach dem obligaten Wochenend-Brunch „chez Paul“, verbrachten wir schweissgebadet ein paar bange Minuten auf dem Frisiersessel von Jimmy Chang, dem John Wayne unter den chinesischen Haarkünstlern (die ängstlich wirkende Assistentin hat uns insgesamt 6 (!) mal die Haare gewaschen und den Hals und Kopf massiert!?), um dann frisch frisiert mit wirklich, wirklich sauberen Haaren ins Nachtleben von Shanghai einzutauchen. Den Abend lancierten wir mit einem köstlichen Abendessen im dezent und elegant eingerichteten, gold schimmernden Azul/Viva in der French Concession. Wir waren bereit. Bereit für das Mint, ein Club im 2. Stock einer 1938 erbauten Villa. Renovation, schon wieder. Kurzerhand entschlossen wir uns, eine Einladung in den Mao-Club von einer Chinesin, die wir einen Abend vorher kennen gelernt hatten, anzunehmen. Rückblende: Wir sitzen in einer Bar on the bund, als sich zwei Chinesinnen, in Kleidchen und mit Maske (sie kamen von einem Maskenball) neben uns setzen und eine Moetflasche bestellen. Sie sprechen uns an, small talk, Marc tauscht Nummern, wir gehen. Am nächsten Tag lädt sie uns in den Club ein. Im Taxi läuft laut „Wonderwall“ von Oasis, wir singen mit. Der Taxichauffeur hält uns für verrückt. Angekommen im Mao (die Party heisst „we are perverts“) werden wir sofort wie VIP’s behandelt und durchgelassen. Warum auch Eintritt bezahlen? Aphrodite (so nennt sich die Chinesin, hallo? wie war das?) führt uns in den erhöhten, abgegrenzten VIP-Bereich, wo einige Tische stehen, die das Gewicht der darauf stehenden Whiskeyflaschen kaum zu tragen vermögen. Aphy (ihr Spitzname) stellt uns ihrem Bruder und ihren Freunden vor. Sie ist ca. zwischen 26-30 Jahre alt und arbeitete in Genf für Richmont, mittlerweile für die Focus Filmproduktion, Fashion-Victim, dekadent, narzisstisch und durchgeknallt. Ihr jüngerer 24-jähriger Playboy-Bruder führt eine Bar im exklusiven Xintiandi-Viertel. Sie stammen angeblich aus einer reichen, einflussreichen Familie in Shanghai. Das „reich“ bestätigte sie, indem sie einfach noch ein paar Flaschen bestellte und von ihrer Villa erzählte. Als um 2 Uhr morgens Komplikationen auftraten wegen eines Missverständnisses bezüglich der Tischreservation, drohte sie brüllend den Club schliessen zu lassen.. Sie erinnert mich ein bisschen an die böse Schwester aus „Cruel intentions“. Ping (oder wie auch immer sein Name war) erzählt mir von seiner PR-Firma und erläutert mir eine halbe Stunde lang voller Begeisterung, in welchen Regionen Chinas die schönsten Frauen zu finden seien. Neben ihm sitzt seine Ehefrau. Vor uns tanzen professionelle Tänzerinnen in Catwomen-Hauch-von-Nichts und Tänzer oben ohne. Eine Drag-Queen schwirrt herum, setzt sich zwischen Marc und mich und grölt mit erschreckend tiefer Stimme irgendetwas vor sich hin. Habe ich schon erwähnt dass die Party „we are perverts“ heisst? Neben uns sitzen europäische oder amerikanische Models, die, wie es scheint, ihrem Alltag, bestehend aus Rumsitzen, Rauchen, Trinken und gut aussehen, entfliehen und was tun? Rumsitzen, Rauchen, Trinken und gut aussehen. Der ganze Club ist gefüllt mit Expats und einigen Chinesen. Wir lassen uns mitreissen und tanzen bis in die Nacht zu den hämmernden House-Bässen. Mittlerweile sind wir zu einer Pool Party, Fashion Show, Reit-Tour und zu einem Gratisbesuch in der Bar des Bruders in Xintiandi eingeladen. Welcome to the High Society of Shanghai. Natürlich bezahlen wir keinen müden Yuan in dieser Nacht. Schliesslich sind wir Freunde. Freunde der Nacht. Die letzte Einladung, die Nacht allein mit Aphy in ihrer Villa zu verbringen, habe ich abgelehnt. Dafür ist mir meine Süsse im Aargau viel zu wichtig. Man kann nicht jede Einladung annehmen. Doch wer weiss, vielleicht sieht man uns ja bald auf Fashion TV Shanghai.

Schule

Die Schule erweist sich je länger je mehr als Härtetest. In dieser ernüchternden Dürrezeit müssen wir uns uninteressanten, in schlechtem Englisch gesprochenen Stoff, der eigentlich im 1. Jahr gelehrt wird, anhören. Doch da ist ein kleines Licht am Ende des Tunnel. Ein Lichtblick, der unser Schulleben erträglich macht. Unsere Chinesischlehrerin Xiao Hong Ma (bedeutet „Wolke im Morgenrot). Sie ist (ungewollt) lustiger, als das gesamte Comedy-Programm von Pro7 (Obwohl sie Sarkasmus und Ironie nicht einmal erkennen würde, wenn man sie ihr auf den Kopf hauen würde). Sie hat das Langzeitgedächnis von Dori aus „Finding Nemo“. In jeder Stunde stellt sie uns die Girls aus Mongolien erneut vor. „Maaa kööö (Marc), Ben zzzööö (Benz; Manuel is too much of a challenge), thiiis is Elliga (Erika) and thiiis iis Saaaroman (die heisst wirklich so ähnlich; als ich das zum ersten mal gehört habe, musste ich das Zimmer verlassen um draussen vor Lachen zusammenbrechen zu können). Natürlich hat sie die beiden wieder verwechselt, was in einem Sturm der Entrüstung endete (sie kennt sie ja auch erst seit einem halben Jahr). „thiis gööörrs (girls) al flom Mongooolia and theil iiinglisch iis actually veeeely guuuud.“ Danach richtet sie ihre dauernd herunterrutschende Brille und schmeisst beim Weglaufen wieder irgendwas herunter. Diese Woche waren kurz zwei Herren zu Besuch (sie sahen aus, als kämen sie von einer kommunistischen Geheimorganisation), die den Unterricht inspizierten. Nervös führte sie einen seriösen Unterricht (was man sonst nicht behaupten kann). Als die zwei Herren nach einer halben Stunde den Raum verliessen, sagte sie: „now, iuuu can reeead in sis book, but if you feel too dificööörrt (difficult), iuu can sleeep or eeaat“. Dann fügt sie ein „I’m soooooo thank you for your cooperation, next time i briiing you giiiift“ hinzu. Das war dann wieder zu viel für mich.


Immer wieder werden wir von den aufdringlichen Ramschverkäufer belästigt. Falls ihr mal in Shanghai seid, hier ein paar wirksame Methoden, sie von euch fernzuhalten:

- Eine Vorwärtsrolle auf den Boden machen und schreien „dé guó rén, dé guó rén“ (die Deutschen, die Deutschen), Feldstecher hervornehmen und geheimnisvoll ins Walkie-Talkie „charlie alpha 6-5-2, over“ flüstern
- „no, but do YOU wanna bag, dvds, shoes, sunglasses?” Mantel öffnen und Sammlung präsentieren. Wenn er verwirrt wegläuft, einfach nachlaufen und wiederholen, bis er die Flucht ergreift.
- Erwähne, dass du mit dem “Zerstörer” befreundet bist. (Wirkt auch diversen anderen unliebsamen Situationen)
- (uf schwitzerdüütsch): „du nei los, sorry gäll, aber jetzt esch grad chli ongönschtig“
- Forme Schlitzaugen mit den Fingern und gib ein lächelndes „Schingschangschong“ von dir. Falls das nichts nützt, zähle irgendwas auf: Toshiba, Kawasaki, Yahama, Poulet Sechuan, sching schang schong


Falls diese Methoden nichts nützen und die Herren immer noch hartnäckig an euren Füssen kleben, ruft mich an. Dann rufe ich Aphy an, die lässt sie nach Nordkorea abschieben.




Wochende (beginnt bei uns Donnerstag und endet Dienstag)

Heute (Donnerstag) öffnet die berühmt-berüchtigte Bar Rouge nach der Renovation wieder ihre Pforten. Pre-opening only for invited guests. Mit von der Partie: Marc et moi! Exgüsämua! Nach einem göttlichen indischen Abendessen empfängt uns Aphy (die eigentlich Barbie heisst; wer hat denn hier noch den Durchblick?) in der Bar Rouge, direkt on the bund. Wow! Sprachlos und mit hängenden Kiefern stehen wir da. Auf der riesigen Terrasse sieht man direkt auf die leuchtende, atemberaubende Skyline von Shanghai. Wir werden zum reservierten Tisch gebracht und ein paar Freunden vorgestellt. Tänzerinnen in kurzen Kleidchen und Strapsen tanzen lasziv auf kleinen Bühnen daneben. Divenhaft lässt Aphy die Kellner wie Marionetten tanzen (es kümmern sich etwa 5 Kellner um unseren Tisch). Moetflaschen in brennenden Kübeln, „Luxeburgerli“, Marshmellow-Spiesse, Sandwiches, Melonenschnitze, und diverse alkoholische Getränke werden serviert. Ist nicht’s mehr da, wird einfach wieder aufgefüllt. Wieder sind wir eingeladen. Ich (zufrieden): „Ich liebe mein Leben“, Marc bejaht energisch mit etwa 5 Marshmellows und 6 „Luxeburgerli“ im Mund. Bis spät in die Nacht wird getanzt, getrunken, gegessen, gelacht. Friday night. Schön im Rhythmus bleiben. Wir besuchen Aphys Bruder in der Collectionsbar in Xintiandi, eine Mischung zwischen altmodischem Teahouse und modern designter Bar. Wir lernen Lara und Orelié aus Paris kennen. Wir tanzen bis 3 Uhr morgens und verabschieden uns dann. Samstag. Auf keinen Fall den Rhythmus unterbrechen, davon aber nächstes Mal. Ich muss jetzt ins Paul frühstücken, danach zur Massage und am Abend wartet ein reservierter Tisch im Volar auf uns. Yeah, it’s hard, but you know, someone’s gotta do it!

Sonstige Highlights der Woche

Besuch Old Town Qibao (1.5-stündige Irrfahrt mit der Metro, anschliessend eine schweisstreibende Busfahrt; ich sah mein Leben an mir vorbei ziehen), ein kleiner Stadtteil mit alten chinesischen Häusern und Brücken umgeben von vielen kleinen Shops und Foodangeboten – Besuch in einem buddhistischen Tempel – „Zerstörer“ lauthals am Telefon vor dem Restaurant (die Frauen haben die Kinder ins Haus genommen) – Meine Kreditkarte kann tatsächlich und endlich als Zahlungsmittel eingesetzt werden



Anmerkung

Lieber Hassan

Vielen Dank für deinen Post auf unserem Blog. Wir sind uns dessen Wichtigkeit, gerade den Gesamtzusammenhang betreffend und für das Verständnis des Geschriebenen, durchaus bewusst. Wir haben uns jetzt ein türkisches Namensbuch gekauft, damit wir im Falle, dass wir noch eine Türkin in China kennenlernen, solch peinliche Faux-pas vermeiden können.

„Viiiiel besser“ jauchzte mein Therapeut


Der "Zerstörer" hat gewütet

Tower in Pudong

Pearl Tower at night


Old town



M und M



Manu's Fototrip on the bund





Geier oder so gefällig?






night is bright








covered in red








Pudong










Buddha











Keine Kommentare: